Osterpredigt

Ich habe mal irgendwann eine Kurzgeschichte gelesen, die mit „Kongress der Regenwürmer“ überschrieben war. Finde ich nicht wieder, aber ich erinnere mich an die Grundzüge. Da finden nämlich Regenwürmer im Boden, wo sie leben und herumkrabbeln, den verlassenen Kokon einer Schmetterlingspuppe. Und sind ganz ratlos, was sie damit tun sollen – und was ihnen dieses Monstrum zu sagen hat. Wenn sie die Puppe vorher gesehen haben, dann sind sie bestimmt zu der Überzeugung gekommen, dass dieses Tier tot ist. Da hat sich lange nichts getan, nichts bewegt, kein Lebenszeichen. Ein hoffnungsloser Fall. Kann man also nur noch beseitigen und entsorgen. So beraten die Regenwürmer also und sind ganz niedergeschlagen über dieses Symbol der Vergänglichkeit und Sterblichkeit.

Die Kurzgeschichte endet: „Und über ihren Köpfen tummelte sich in der Sonne ein wunderschöner Schmetterling.“ Den sehen sie aber gar nicht, die Schmetterlinge, denn sie haften am Boden, ja im Boden und sehen nur das, was sterblich ist und tot.

Der Schmetterling, in der Biologie das beste Beispiel für Metamorphose in seinen Entwicklungen vom Ei zur Raupe, von der Raupe zur Puppe und in seiner Verwandlung in einen wunderschönen Schmetterling – von alters her ein Symbol für die Auferstehung. Das spricht für sich selbst. Die Verbindung ist selbstredend.

In St. Marienstern ist das große Altarbild am Hauptaltar wie in jeder Zisterzienserkirche eine Darstellung des Heimgangs der Gottesmutter. Denn Mariä Himmelfahrt ist das Patronat des ganzen Ordens und aller Klöster. Da ist das Grab Marias oder ihr Sterbebett, umgeben von den Aposteln, die bei ihrem Sterben bei ihr waren. Und mancher von ihnen starrt in das Grab, schaut traurig nach unten. Und sieht gar nicht, dass Maria längst auf dem Weg nach oben ist. Sich über das Grab erhebt und sich aufmacht zu Christus, ihrem Sohn, der sie zu sich holt.

Wie die Regenwürmer, die den herrlichen Schmetterling, der in der Sonne tanzt, gar nicht sehen, weil sie auf die tote Hülle der Larve starren, so sehen auch manche der Jünger gar nicht, dass der Weg nach oben geht, zum Himmel, ins Licht, in Gottes Herrlichkeit.

Auch die Jesusjünger, die am Ostermorgen ans Grab Jesu kommen, suchen da unten, in der Erde, nach ihm. Und begreifen lange nicht, dass er oben ist und sozusagen in der Sonne des Ostermorgens tanzt. Und brauchen lange, um das zu begreifen und sich ebenfalls zu erheben, zu österlichen Menschen zu werden. Maria Magdalena, die Jesus im Leben so nah gestanden ist, begreift es als erste und erkennt den Auferstandenen in seiner ganz neuen Gestalt. Der ein ganz Neuer geworden ist wie der wunderbare Schmetterling, der dem Kokon der leblosen Puppe entschlüpft ist und nun in der Sonne tanzen kann.

Der Schmetterling als österliches Zeichen, ein Symbol der Hoffnung, der Verwandlung und des neuen Lebens, mag über unserem Osterfest kreisen und unseren Blick zum Licht erheben, zur Sonne, zum Himmel, der unser aller Ziel ist. Wir sind nicht dazu berufen, in der Erde zu kriechen und da zu enden. Sondern unser Leben auf dieser Erde ist ein Entwicklungsstadium, das uns bereit und fähig machen will für unsere eigentliche Berufung, die im Himmel ist und in Gottes Nähe. Fliegen lernen und die Schönheit unseres Lebens entfalten wie ein Schmetterling, das ist doch eine herrliche Aufgabe, die wir an diesem Osterfest wieder neu einüben dürfen.

P. Johannes

Foto: Ksenia Ragozina, Shutterstock