Wegen der Corona-Krise hat die evangelische Gemeinde die Bibelwoche gestrichen.
„Zum Trost“ hier wenigstens meine schon fertige Predigt… PJ
Ökum. Gottesdienst zur Eröffnung der Bibelwoche
15. März 2020 in der St. Just-Kirche – zu Dtn 5, 23-29
Wir kennen alle den Anfang der Berufung des Mose zum großen Führer und Befreier des Volkes Israel. Er führte sie aus der Sklaverei in Ägypten in das gelobte Land Kanaan. Und tat es im Auftrag Gottes.
Mose ist bei der Arbeit, er weidet die Herden seines Schwiegervaters. Und kommt zufällig an den Berg Horeb. Wo er ein interessantes Phänomen sieht, nämlich einen brennenden Dornbusch, der aber nicht verbrennt. Das findet er spannend, das will er sich näher ansehen, da muss er dahinterkommen hinter ein solch seltsames Phänomen.
Aber er wird zurückgepfiffen: Gott spricht aus dem brennenden Dornbusch zu ihm und befiehlt ihm Ehrfurcht, denn er steht auf heiligem Boden. Und Mose verhüllt sein Gesicht, weil er Angst hat, Gott anzuschauen.
So ist Gott, so begegnet er immer wieder den Menschen, von Anfang an: als mysterium tremendum et fascinosum. Als der, der Menschen wahnsinnig anzieht und fasziniert. Aber auch zugleich als der, der uns sozusagen in die Knie zwingt und uns erschaudern lässt vor seiner unfassbaren Größe und Herrlichkeit. Immer wieder lassen sich Menschen von diesem Gott anziehen und erstarren manchmal regelrecht vor Ehrfurcht, erkennen jedenfalls, dass wir diesem Gott nur auf Knien nahen können.
Der Abschnitt aus dem Buch Deuteronomium, den wir eben als Lesung gehört haben, spielt Jahrzehnte später. Tatsächlich hat Mose seine Berufung angenommen und sein Volk Israel aus Ägypten geführt. Und zieht mit ihm 40 Jahre lang durch die Wüste, bis sie im Gelobte Land ankommen. An der Schwelle zu diesem neuen Leben in dem Land, das Gott ihnen schenken will, reflektiert Mose mit ihnen den Bund, den Gott mit ihnen geschlossen hat, und die Konsequenzen, die für das Leben der Menschen daraus zu ziehen sind: Religion im Alltag, in Ehrfurcht vor Gott und in Ehrfurcht vor den Mitmenschen. Die zehn Gebote bringen diese Lebensordnung auf den Punkt – sie stehen unmittelbar vor unserem eben gehörten Abschnitt.
Das Volk stimmt zu und ist also bereit, die Zehn Gebote anzunehmen und mit Leben zu füllen. Sie bestätigen, dass Gott ihnen seine Herrlichkeit und Macht gezeigt hat, dass er zu ihnen gesprochen hat. Sie wissen sich angesprochen, sie sind gemeint, Gott schenkt ihnen seine Treue.
Und sie haben die Erfahrung gemacht, dass Gott es gut mit ihnen meint. Es stimmt nicht, dass Gottes Wort tötet, die haben seine Nähe überlebt. Ihre Angst war da also unbegründet und hat sich nicht bestätigt. Aber seltsamerweise bleiben sie skeptisch. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, man weiß ja nicht, was passieren kann. Beim nächsten Mal geht das bestimmt schief. Das wäre ja das erste Mal, das man am Leben bleibt, wenn man Gott, also dem Feuer, zu nahe kommt. Da verbrennt man sich doch garantiert die Finger.
„Geh du allein hin!“, so sagen sie dem Mose. Sie bleiben da lieber auf Sicherheitsabstand. Lieber keinen unmittelbaren Kontakt mit Gott, lieber nicht so nah dran.
Seltsamerweise ist Gott damit einverstanden, bestätigt diese Haltung also, deutet sie als Ehrfurcht, als Gottesfurcht. Und so bleibt es dabei: Später im Tempel entsteht ein Allerheiligstes, das mit einem Vorhang abgetrennt wird, hinter den nur der diensthabende Hohepriester treten darf. Religion bekommt Funktionäre, Hauptamtliche, die eine Mittlerfunktion übernehmen, damit die Menschen eben nicht so nah dran gehen müssen.
Wenn wir bald wieder die Passion Jesu betrachten, dann werden wir daran erinnert, was beim Tod Jesu passierte. Da heißt es bei den Synoptikern, dass unmittelbar nach dem Sterben Jesu der Vorhang im Tempel zerriss. Das bedeutet doch, dass der Zugang zum Allerheiligsten für alle frei wurde durch den Erlösertod Jesu. Seitdem braucht es keine Mittler mehr, seitdem hat jeder, der glaubt, unmittelbar Zugang zu Gott. Wir sind erlöst durch den Tod Jesu und sind alle durch Glaube und Taufe Priester, die unmittelbar mit Gott in Kontakt treten dürfen.
Aber es bleibt natürlich dabei, dass Gott ein mysterium tremendum et fascinosum ist. Er zieht uns an sich, lädt uns in seine Nähe ein – und ist auch der, der uns erzittern lässt in Ehrfurcht. Gott begegnet dem Mose im brennenden Dornbusch, denn Gott ist Feuer. Und das Volk Israel erinnert sich daran, dass Gottes Stimme sie aus einem großen Feuer ansprach und sie Angst hatten, von diesem Feuer verzehrt zu werden.
Vom Kirchenvater Origenes ist ein Wort Jesu überliefert, das nicht in den Evangelien steht: „Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe.“ Da ist es wie an einem kalten Winterabend an einem brennenden Kaminfeuer: Die Wärme tut gut und umhüllt uns wohltuend. Aber Feuer ist auch ungebändigte Naturgewalt und kann ganze Wälder verwüsten und zerstören. Anziehend und angstmachend zugleich.
Wir dürfen glauben, dass Gott unser Bestes will. Ganz sicher möchte er uns nicht brennen sehen und vernichten – was wäre das für eine blutrünstige Götze! Nein, Gott ist Liebe, die für uns Menschen brennt und uns zärtlich umfängt. Das hat Jesus in seiner Zuwendung zu den Menschen immer wieder erfahrbar gemacht. Und so dürfen wir uns seiner brennenden Liebe nähern und uns von ihr immer neu entzünden lassen. Wir dürfen seiner Nähe trauen, die uns keineswegs bedroht, sondern die uns umfängt und leben lässt. Und uns zur Liebe befähigt – das ist ja der tiefste Sinn der Zehn Gebote. Wie es der hl. Augustinus gesagt hat: Liebe und tue, was du willst.